Dienstag, 19. Juli 2016

"Stranger Things": Eine 80er-Jahre-Hommage der Extraklasse | Staffel: 1

US / 8 Episoden á 50 Minuten / FSK: 16 / Genre: Fantasy, Horror, Abenteuer / Bildrechte bei: Netflix
Die 80er. Das sind „99 Luftballons“ von Nena, stylische Karottenhosen und fragwürdige Vokuhila-Haarschnitte. Das Jahrzehnt des Walkman gilt aber auch als Sternstunde der Grusel-Regisseure. Ob John Carpenter mit „The Fog“, David Cronenberg mit „Videodrome“ oder auch Stanley Kubrick mit „The Shining“. Allesamt haben sie einen Drehstil entwickelt, der sich so charmant wie furchterregend anfühlt. Die 80er sind aber auch „Stranger Things“. Netflix‘ neueste Serien-Ambition, die uns mit ihrem Intro an den verregneten Sonntagnachmittag erinnert, an dem wir Rob Reiners „Stand by me“ geschaut haben und während der Credits Ben E. Kings unverkennlicher Stimme lauschten.
Doch dann steht da auf einmal wie aus dem Nichts ein groteskes, alienartiges Wesen und entführt einen Jungen. Die Atmosphäre ändert sich schlagartig. Kurz darauf erscheint ein mysteriöses Mädchen. Warum die Zahlen 011 auf ihren Arm tätowiert sind, verrät sie nicht. Sie, fortan Eleven genannt, spricht nur wenig. Je länger sie ihr Schweigen aufrecht hält, desto mehr wirkt „Stranger Things“ so, als ob die Netflix-Serie nicht nur ein Genre wiederauferleben lassen möchte, sondern jegliche Nostalgiegedanken an diese verrückte Zeit mit der Moderne vereinen will.

Die eben beschriebene Gefühlslage, die man als Zuschauer nach der ersten Folge von „Stranger Things“ inne hat, gleicht der, die die 12-jährigen Freunde Mike (Finn Wolfhard), Dustin (Gaten Matarazzo) und Lucas (Caleb McLaughlin) durchmachen müssen. Der verschwundene Junge ist nämlich ihr bester Freund und das geheimnisvolle Mädchen plötzlich vor ihnen, als sie in dunkelster Nacht mitten im Wald nach ihm suchen. Im Affekt beschließt das Gespann, sie in ihrem Keller zu verstecken. Das einzige was ihr in diesem Moment fehlt, ist eine glühende Fingerspitze und der Wunsch, mal nach Hause zu telefonieren. Parallel dazu wird in einem geheimen Regierungslabor ein Organismus gezeigt, den die Natur unserer Erde so wahrscheinlich nicht vorgesehen hat. Auch hier fehlt allenfalls ein Auftritt von Mulder und Scully.

Die Liste der gefundenen Hommagen könnte an dieser Stelle ewig fortgeführt werden, haben die Schöpferbrüder Matt und Ross Duffer doch an wirklich jede Kleinigkeit gedacht: gruselige Wälder, durch die mit dem Retro-Rad gestrampelt wird, Walkie-Talkies, für die man eigentlich drei Hände bräuchte, Nasenbluten als Anzeichen dafür, dass sich gerade jemand telekinetisch anstrengt, Geister, die über Stromquellen kommunizieren, Knackgeräusche im Telefon, die außerirdischen Besuch andeuten und Tode der ein und anderen netten Nebenfigur, damit der Plot voran kommt. Als i-Tüpfelchen verziert man diesen Spielplatz der Erinnerungen mit Winona Rider, die als Joyce die Mutter des verlorenen Sohnes mimt. In den 80ern und frühen 90ern hatte sie sich mit Filmen wie „Edward mit den Scherenhänden“ und „Beetlejuice“ einen beeindruckenden Namen gemacht – den sie aber nie mit ins neue Jahrtausend hieven konnte. Umso schöner und auch passender, dass sie mit „Stranger Things“ in die Vergangenheit reist und alte Werte an den Tag legt, nämlich überzeugende Schauspielerei. Das schafft sie trotz der schlimmsten Filmperücke der Welt, die man für eine weibliche Darstellerin hätte finden können.



Wenn man sich anschaut wie diese jungen Kinder reden, untereinander interagieren und zusammen auf ihren Fahrrädern radeln, muss man einfach eine weitere Person nennen, die insgeheim zu diesem Projekt beigetragen hat. Wer „Die Goonies“ gesehen hat, weiß auf wen ich anspielen möchte. Der Mann, der Kinderabenteuer groß gemacht hat: Steven Spielberg. Damit gesellt sich ein zusätzlicher Name in die Riege der Menschen, von denen sich die Gebrüder Duffer die Filetstückchen abgeschnitten haben. Sicher, da besteht die Gefahr, dass das Ganze lediglich als Best-Of-Mash-Up endet und die eigene Identität auf der Strecke bleibt.

„Stranger Things“ schafft es jedoch, ein eigenes Universum zu schaffen, in dem man sich mit seiner Nostalgie wohl fühlt und das die technischen Vorteile der Gegenwart geschmeidig mit einwebt. Zum Großteil dafür verantwortlich sind eben jene Kids, die eine hervorragende schauspielerische Arbeit leisten. Mit ihrer natürlichen Art und Weise sorgen sie für nicht einen einzigen „Das-macht-ihr-jetzt-nicht-wirklich“-Moment, sondern glänzen durchweg mit ergreifenden Szenen, in denen sie wie gestandene Schauspieler wirken. Man ist als Zuschauer dankbar, dass sie dafür die perfekte Bühne gebastelt bekommen haben. Mit einem Score, bei dem selbst Carpenter die Tränen kommen dürften und unterstützenden Charakteren der Spitzenklasse - nicht unerwähnt bleiben darf David Harbour als der grummeligste und gleichzeitig liebenswürdigste Sheriff aller Zeiten - gibt es kaum eine Szene, in der man nicht etwas außergewöhnlich gutes entdecken kann.

„Stranger Things“ ist das bis dato vielleicht "netflixsche" Projekt, dass der SVoD-Anbieter veröffentlicht hat. „Sie haben gerade erst alte Steven Spielberg und Horrorfilme geschaut, versuchen Sie das hier!“. Von hinten bis vorne fühlt es sich nach dem an, was man möchte, wenn man gerade Lust auf einen Nostalgiekick der Extraklasse hat.


9.0/10

1 Kommentar:

  1. Das klingt nach einer Serie für mich, insbesondere wenn man das Vergnügen hat die gute Winona Ryder mal wieder schauspielerisch in Aktion zu sehen. Das ich das noch erleben darf.

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