Freitag, 12. August 2016

"The Get Down": Warum Hip-Hop nicht nur der Assi-Shit aus den Medien ist | Staffel: 1

US / 2016 / 12 Episoden á 60 Minuten / Genre: Musik, Drama / Bildrechte bei: Netflix
"The Get Down", man! Was meinst du damit, du hast keine Ahnung was das ist? Das ist die geilste Party der Bronx! Der Ort, an dem Disco auf die Geburtsstunde des Rap trifft und wo die 'Whackness' einfach rausgeschnitten wird - also jener Teil, in dem Disco-Trullas zum Weichspülgang ansetzen. Davon schimmert in den Anfängen von Netflix' bisher teuerster Serienproduktion einiges durch bis es im Groove der darauffolgenden Episoden glücklicherweise verblasst und die Detailverliebtheit glänzt.
Dass man als Zuschauer "The Get Down" recht schnell und vollkommen willens in die dreckigen Straßen New Yorks zu folgen vermag, liegt nicht einmal an "Immer weiter, größer und besser"-Regisseur Baz Luhrmann. Denn sobald der "Moulin Rouge"-Macher in den späteren Folgen nicht mehr hinter der Kamera steht, wird alles kleiner, feiner und noch viel besser. So steht man zu Beginn vollkommen verloren in dieser mächtigen Produktion, die so viel bereit hält und wo man gar nicht weiß, an welcher Ecke man anfangen soll zu erkunden.

Doch bevor die Angst aufkeimen kann, dass das alles viel zu viel ist, hat man sich schon mit Zek (den sollte man im Auge behalten: Justice Smith) und seinen Kumpels angefreundet und wippt mit ihnen rythmisch zum Beat, während einem selbst immer klarer wird, wie sehr hier abgeliefert wird. Es ist New York im Jahr 1977 und die Zeit von Rod Stewart, Barbara Streisand und den Bee Gees. Kurz: Die Zeit des Disco. Wenn du cool sein wolltest, bist du Freitagabend mit Schlaghose und Glitzerjäckchen in den angesagtesten Club gegangen, um dort funky abzuzappeln.

Doch wenn jemand damit nichts anzufangen wusste, dann waren es die armen Kids aus der Bronx. Als Zek über den Sprayer Shaolin Fantastic (Shameik Moore) auf dem "The Get Down" landet, prallen zwei Welten aufeinander. Fantastic möchte nämlich DJ werden, benötigt für seinen Plan, etwas vollkommen Neues ins Leben zu rufen aber noch einen MC, einen Sänger. Also nehmen Zeks in der Freizeit geschriebenen Gedichte immer mehr stimmliche Form an und formen sich mit Fantastic Beats zu den ersten Zügen des uns heute bekannten Hip-Hop.

"This ain't Disneyland! This s–t is the f—in Bronx!”

Doch wäre es falsch zu behaupten, dass "The Get Down" die schwarze Version von "8 Mile" wäre. Denn so gut Eminems Biopic auch gewesen ist, hat es in Anführungszeichen nur die Musik gelebt. Es ist die eine Sache, eine Serie über Musik zu machen. Und es ist nochmal eine andere Sache, eine Serie über die Nostalgie einer ganzen Ära zu machen. Netflix' Schöpfung vereint auf zuvor nie dagewesene Art und Weise beide Seiten und erzählt eine großartige Geschichte. Wie sie das machen?

"Regel Nummer 1: Du musst mit ihr tanzen!", verrät Ra-Ra Kipling (Skylan Brooks) Zek auf die Frage, wie er das Mädchen seiner Träume erobern kann. "Regel Nummer 2: Du musst gefährlich wirken!". Ob diese zwei Richtlinien ausreichen, um eine Frau zu betören, sei mal dahingestellt. Doch hat mich "The Get Down" wirr und wuschig getanzt und mir in den richtigen Momenten mit einer dramatischen Szene die Pistole auf die Brust gesetzt. Allerspätestens hat es bei mir dann gefunkt, als Zeke vor seiner Lehrerin ein zweiminütiges Gedicht aufspricht und zwischen stoischer Ruhe und "verdammt, das ist Rap!" balanciert.

"The Get Down" verkörpert neben der Geburtsstunde des Hip-Hop aber auch gleichzeitig Netflix' Geburt der Superproduktionen. Denn mit einer Episoden-Budget von 10 Millionen Dollar ist man auf einem Level mit HBO und der aktuellen Staffel von "Game of Thrones". Das sieht man auch. So gleicht die 90 Minuten lange Pilotfolge einer hochwertigen Kinoproduktion, die auch das ein oder andere bekannte Gesicht bereit hält: u.a. Giancarlo Esposito ("Breaking Bad"), Jimmy Smits ("Sons of Anarchy") und Jaden Smith ("Karate Kid"), der zur großen Überraschung doch etwas Talent von seinem Papa geerbt hat.


Die eigentlichen Stars sind aber die Kids, die man gar nicht kennt. Die, die kaum Bühnenerfahrung haben und dem Zuschauer das Staunen ins Gesicht rappen, singen, tanzen, spielen. So wurde auf keinen Fall an einem ausführlichen Casting gespart, ebenso wenig wie an Authentizität. Hier lebt nicht nur die Musik, hier lebt die ganze Stadt und jede einzelne Popkulturreferenz, die man in einem regelmäßigem Takt zur Nostalgie-Auffrischung bekommt.

Wenn Zeke nämlich so bitterböse anfängt zu rappen, wie Ice-Cube es in jungen Jahren nicht besser hätte machen können, gleichzeitig aber auch noch eine Bruce-Lee-Hommage mit darauffolgendem Graffiti-Act eingestreut wird, weiss man, dass man sich hier in den 70ern befindet, wie sie damals in den New Yorker Straßen ungefähr sein mussten. Dies geschieht in schönster Reinform wohlgemerkt aber erst ab Episode Zwei, wenn Luhrmann seinen Regieposten abgibt. Denn so faszinierend sein großes TamTam manchmal auch sein mag ("The Great Gatsby"), hier tat dem Endprodukt die Arbeitsaufteilung mehr als gut. Viele Köche verderben also nicht immer den Brei.

Obwohl Musik-Dramen im Regelfall schwer zugänglich sind - und da macht die leider chaotische und gleichzeitig episch lange Pilotfolge von "The Get Down" keine Außnahme - schafft es das Team um Baz Luhrmann den Zuschauer von Minute zu Minute immer mehr dafür zu belohnen, dass er tapfer den Anfang überstanden hat und die Serie von "richtig gut" bis "absolute Weltklasse" mitverfolgt. Wenn man sich also von Luhrmanns typisch überzogener Manier nicht sofort in die Flucht schlagen lässt, wird man Zeuge einer herzerfüllten Geschichte über das Streben nach Erfolg, die so viel Soul wie Funk und deftigen Rap zu bieten hat. 

9.0/10

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